Können Bilder, die wir im Kino sehen, Bilder von anderen Welten oder von Menschen, die sich anderes verhalten, uns Zuschauer verändern? Oder dienen sie der Wirklichkeit, indem sie Hoffnung nur schüre? Unter den Stichworten „Spektakel“ und „Kulturindustrie“ haben kritische Menschen zig Bücher über diese Kompensationsaufgabe der ästhetischen Produktion geschrieben. Immer in der Hoffnung, dass diese Bücher – obwohl sie selbst Teil des bösen warenvermittelten Ganzen sind – Menschen berühren können.
Vielleicht stimmt einfach beides. Vielleicht können und müssen Bilder trösten. Vielleicht können ihre Zuschauer aber trotzdem etwas von ihnen lernen – wenn sie nur richtig hinschauen. Um diesen „Crashkurs in visueller Mündigkeit“ geht es Dietmar Dath und Swantje Karich in ihrem Buch Lichtmächte. Kino-Museum-Galerie-Öffentlichkeit. „Lichtmächte“ sind all die „staatlichen, gegenstaatlichen, markförmigen Gewalten, die Orte einrichten, an denen symbolische Veränderungen von Personen und Verhältnissen zwischen Personen inszeniert und genossen werden können“. Diese „Lichtmächte“ mitsamt Digitalisierung erschüttern jene Orte, die Dath (Kino) und Karich (Museum) für die gemeinsame Redaktion (FAZ) regelmäßig besuchen.
Von Streaming, DVD-Boxen und mobilen Abspielgeräten versucht sich das Kino abzugrenzen, indem es mit überlangen 3-D-Produktionen und integriertem Fast-Food-Besuch zum abendfüllenden Event entwickelt. Daneben erkennt Dath einen neuen Experimentiergeist, der die gute alte Spannung zwischen Avantgarde und Mainstream reaktiviert. Museen schultern mit ihren öffentlichen Geldern eine größere Verantwortung. Sie haben trotz der ökonomischen Zwänge die Aufgabe, als Entschleunigungsinseln ihren Besuchern einen anderen Umgang mit Bildern und zu ermöglichen, schreibt Karich.
Den neuen Bilderfluten müssen sich beide Orte stellen, die Schnittstellen werden zahlreicher. Was auf keinen Fall hilft, sind kulturkritische Lamentos und die Anrufung einer idyllischen Vergangenheit. Wie ernst es Dath und Karich im Angesicht von Reizüberflutung, Kontrollverlust und Mensch-vs.-Maschine-Denken mit ihrer Erziehung zur Mündigkeit ist, sieht man schon an der Form: in jedem Kapitel wird vorab ein Erkenntnisziel formuliert, zum Schluss das ganze Buch zusammengefasst.
Viel von dieser Klarheit ist wohl Karich zu verdanken. Das liest sich aus Dialogen heraus, die zwischen den essayistischen Texten und gemeinsamen Kapiteln stehen. Dort sagt sie Dath, der mit jedem Satz immer schon drei Querverweise weiter ist, dass er sie am ehesten überzeuge, wenn „Du … aus dem Werk selbst heraus argumentierst und nicht mit deinem Wissen den Leser erschlägst.“ Kritik trifft, wenn sie konkret wird. Also wenn Dath die „Phantastik“ durchdekliniert oder Ulrike Ottingers Superheldinnenfilm Madame X als Beispiel für feministische Filmkunst feiert. Oder wo Karich das Werk der Performance-Künstlerin Marina Abramović als Teaser auf heutige Zeige- und Schauformen selbstentfremdeter, aber um so sehnsüchtigerer Menschen beschreibt.
Ansonsten liegen Kino und Museum zu weit auseinander, als dass das Buch ihnen und ihren „Lichtmächten“ gerecht werden könnte. Der Crashkurs erweist sich als Schubser in Bilderwelten mit Andeutungen, wie in ihnen Wirklichkeit erzeugt, Haltungen ausprobiert und verglichen werden können. Das Ziel ist klar: dass der geübte Blick irgendwann durch die Leinwand geht und bei der Aneignung neuer gesellschaftlicher Freiheiten hilft.
Lichtmächte Swantje Karich/ Dietmar Dath Diaphanes 2013, 256 S., € 24,95
(zuerst erschienen in der Freitag 4/13 vom 23.1.2014)
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