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#Friedenswinter: Hauptsache Feindbilder

Angenehm still war es um die obskuren Versammlungen der „Mahnwachen für den Frieden“ geworden, die sich im Frühjahr von Berlin aus auf immer mehr Städte ausgebreitet hatten. Mit ihrem Leitspruch, es gebe kein Links und kein Rechts mehr, waren sie in ihren Hochzeiten montäglicher Treffpunkt für allerhand Friedensbewegte, Esoteriker, Verschwörungstheoretiker, Antisemiten, Reichsbürger und volltätowierte Nazis mit heruntergelassenen Hemdsärmeln.

Nach einem eher enttäuschend besuchten bundesweiten Treffen im Juli in Berlin, zu dem gerade einmal 2.000 Menschen kamen, sind einstige Redner wie Jürgen Elsässer längst weitergezogen und biedern sich nun Teilnehmern der Hogesa- und Pegida-Märsche an – also jenen, die sich nicht zieren, in aller Öffentlichkeit ihre Ressentiments zu zeigen. Die Mahnwachen rund um Initiator Lars Mährholz und den umstrittenen Radiojournalisten Ken Jebsen waren auf dem besten Weg, zu einem kleinen, vehement gegen die Mainstream-Presse wetternden Zirkel zu werden.

Die traditionelle Friedensbewegung hat das vergangenes Wochenende erfolgreich verhindert. Reiner Braun, Sprecher der „Kooperation für den Frieden“, eines Dachverbandes von bis zu 60 Organisationen, hofft mit den Mahnwachen auf eine lang überfällige Verjüngung, wie er der taz sagte. In den Äußerungen von Jebsen, der Israel heute zwar nicht mehr öffentlich die „Endlösung“ in den palästinensischen Gebieten vorwirft, sich dafür aber eine dritte Intifada herbeiwünscht, erkennt Braun nur eine „scharfe Kritik an der israelischen Regierung“.

Alle zum Schloss Bellevue

„Über künftige Formen der Zusammenarbeit müssen wir uns sicher im Weiteren den Kopf zerbrechen“, stellte Braun in einem Statement vorab noch einmal klar. „Aber jetzt geht es um die Aktion.“ Diese Aktion hört auf den Namen „Friedenswinter“. In einer Handvoll Städte hatte das neue Bündnis am Samstag zu Kundgebungen aufgerufen. Höhepunkt war ein Protestzug vom Berliner Hauptbahnhof vor das Schloss Bellevue, den Amtssitz von Bundespräsident Joachim Gauck.

Die Berliner Mahnwachen hatten zuvor nicht nur die Facebook-Seite des Berliner Friedenswinters bespielt, sämtliche Organisatoren und Redner hatten Ken Jebsen auch für sein Internetangebot KenFM bereitwillig Interviews gegeben. Und obwohl sich die Lehrergewerkschaft GEW offiziell von der Veranstaltung distanziert hatte, wehen ihre Fahnen an diesem Samstag dann neben denen von Attac, DKP, KPD und DDR. Anonymousmasken gesellen sich zu Verschwörungstheoretikern. Auch Rechte, die sonst gegen die Flüchtlingsheime in Berlin auf die Straße gehen, sind auf der Demo zu sehen (nachzulesen auch bei der stets gut informierten Facebookseite Friedensdemo-Watch).

Der Minimalkonsens der Demonstrierenden ist nach den Eingangsstatements schnell abgesteckt: Für den Frieden zu sein heißt hier, gegen Joachim Gauck, die NATO und die USA zu wettern. Ohne klare Feindbilder kommen diese Friedensfreunde jedenfalls nicht aus.

Natürlich kann und muss man Gauck für sein Gerede von einer neuen deutschen Verantwortung in der Welt und für seine verbale Scharfmacherei kritisieren. Auch sehr hart. Aber nicht so. Und nicht mit einem Bündnis, das nach dem nationalsozialistischen Vernichtungskrieg gegen Russland auf eine historische Verantwortung Deutschlands pocht, die viele hier gegenüber Israel niemals bemühen würden.

Der Liedermacher und Linken-Abgeordnete Diether Dehm, ein Gesinnungsgenosse Jebsens, der bereits zuvor bei den montäglichen Mahnwachen aufgetreten war, hat sich extra einen besonders pfiffigen Spruch ausgedacht, den er zusammen mit Mährholz und Jebsen beim Tragen des Fronttransparents der Demo ruft: „Gauck, Gauck, der nichts taugt, außer nur zum Kriegsklamauk!“

Als sich der Zug von etwas mehr als 3.000 Menschen zu Musik von Konstantin Wecker, der ebenfalls zu den Unterzeichnern des Friedenswinters gehört, langsam in Bewegung setzt, wird es interessant. Die Mahnwachen halten hier zwar keinen offiziellen Redebeitrag, dafür haben sie einen eigenen Wagen, der auf dem Weg zum Schloss die Hauptattraktion der Demonstration ist: Nach Lars Mährholz („ … dieses Geldsystem, in dem wir festhängen, ist nicht in Stein gemeißelt … ihr Lieben, googelt „Fiat Money“!) spricht der einstige Attac-Globetrotter Pedram Shahyar und präsentiert den Friedenswinter als natürliche Fortsetzung der Mahnwachen („ … wir haben den Sommer überlebt und den Winter – das ist der neue Cocktail der Friedensbewegung!“).

Nicht ohne Hitlerparodie

Als Shahyar die Parole „Brecht die Macht der Banken und Konzerne!“ anstimmt, trottet Diether Dehm hinter dem Wagen der Mahnwachen her und fordert immer wieder, seine Gauck-Zeile auch zu skandieren – allerdings vergeblich.

Am Schloss Bellevue angekommen, werden schließlich von den Organisationen noch die Forderungen des Friedensappells von 60 Prominenten „Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!“ vorgetragen. Da hat sich das ganze Unbehagen an dieser neuen Friedenskoalition aber bereits zuvor in dem Auftritt des Kabarettisten Reiner Kröhnert offenbart. Der hetzt während seiner Gauck-Parodie gefühlte Ewigkeiten Adolf-Hitler-artige Großmachtallüren in die Dämmerung, um sich danach zu entschuldigen: „Jetzt ist mein Herz mit mir durchgegangen.“

Weitermarschieren will diese neue Friedensbewegung nach dem Winter auch an Ostern und am 9. Mai, dem Tag der Befreiung. Wie es sich einige dann wieder zurechtbiegen werden, daraus ein Schaulaufen gegen die USA, das Finanzkapital und Israel zu machen? Wahrscheinlich so einfach wie dieses Mal auch: Einmal vorab pauschal von „Neurechten, Antisemiten, Reichsbürgern“ distanzieren und dann weiter im Programm. Es geht schließlich um die Aktion.

(zuerst erschienen in der Freitag 51/14)

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