Es zeigte sich schon am ersten Abend, dass man ein „Festival über Privilegien“ schlecht feiern kann. Männlich Weiß Hetero ist das Programm überschrieben, mit dem das Berliner Theater Hebbel am Ufer zwei Wochen lang die Privilegien der Mehrheitsgesellschaft auf die Bühne bringen will. Der MWH hat mit großer Wahrscheinlichkeit noch nie direkte Diskriminierung erfahren. Wer männlich, weiß und hetero ist, wie ich, wurde vermutlich noch nicht von Nazis gejagt oder von Polizisten anlasslos kontrolliert. Er muss nicht fürchten, ein Beamter könnte ihn erschießen. Er wurde wohl kaum aufgrund seines Geschlechts belästigt oder vergewaltigt und schon gar nicht wegen seiner sexuellen Orientierung diskriminiert. In einem Bewerbungsverfahren wurde er wahrscheinlich noch nie in der ersten Runde aussortiert. Und wahrscheinlich ist ihm noch nicht einmal bewusst, wie gut er im Vergleich zu anderen durchs Leben kommt.
Das Konzept, anhand dieser Privilegien die gesellschaftlichen Diskriminierungsachsen sichtbar zu machen, stammt aus dem Antirassismus und Feminismus der 80er Jahre. Hierzulande ist es noch sehr frisch, umso heftiger sind die Abwehrreaktionen: Der Hinweis, dass der Gebrauch des N-Worts oder auch die Praxis des Blackfacings verletzend sind, reicht aus und die weiße Elite dreht am Rad: Abstrakte Kritik ist ja schön und gut, aber soll man sich jetzt etwa einschränken lassen?
Immer noch Arschloch
Natürlich sind es nicht zwangsläufig nur weiße, heterosexuelle Männer, die sich so äußern. Wie schwierig es auch ohne MWHs ist, über Privilegien zu sprechen, zeigte sich schon zu Beginn. Unter der Schlagzeile fe_male_gaze. Blicke auf Männlichkeitwurde die Filmgeschichte auf den Privilegienträger Nummer eins hin abgeklopft. Die feministische Regisseurin Tatjana Turanskyj, deren Sexarbeiterinnen-Film Top Girl gerade in den Kinos lief, der Filmwissenschaftler Chris Tedjasukmana und die Regisseurin Simone Dede Ayivi, die mit der Gruppe Bühnenwatch gegen rassistische Praktiken im Theater interveniert, saßen mit Stefanie Lohaus vom Missy Magazine. auf dem Podium. Um sich den alltäglichen, und deshalb häufig nicht thematisierten Normvorstellungen zu nähern, hatten sie Filmausschnitte dabei. Zuerst: James Bond, Der Mann mit dem goldenen Colt. Zwei Herren teilen am Dinnertisch die Welt zwischen sich auf, eine Frau sitzt im Bikini daneben und schaut zu. Dieses Muster finde sich in ungefähr 95 Prozent aller Filme, erklärte Lohaus. Und weil Privilegien wohl umso sichtbarer werden, je stärker man sie mit ihrem Gegenüber kontrastiert, zeigten sie dann einen Ausschnitt aus Rainer Werner Fassbinders Angst essen Seele auf und eine Szene aus Winnetou, in der sich Uschi Glas in eine Indianerin verwandelt.
Warum hier mit Yellowfacing und der klischeehaften Sprache des „Gastarbeiters“ („Du tanzen mit Ali, Ali zahlen Cola“) wieder nur Rassismen reproduziert würden, fragte daraufhin eine junge Frau of Color aus dem Publikum. Warum müsse man auf einem Festival über Privilegien wieder People of Color diskriminieren, anstatt sich endlich mit den Vorrechten der Mehrheitsgesellschaft auseinanderzusetzen? Kurz darauf verließ sie mit weiteren Aktivistinnen aus Protest den Saal und das Podium versuchte, diese Intervention zu verarbeiten.
Chris Tedjasukmana bestand zwar darauf, dass es möglich sein müsse, zu kritisieren und trotzdem weiter zu diskutieren. Die von ihm gewünschte „linksradikale Politik, bei der sich die Leute nicht scheiße fühlen“ war aber zumindest an diesem Abend nicht mehr greifbar. Simone Dede Ayivi, die diese Form der antirassistischen Praxis von Bühnenwatch kennt, betrachtete den Abend als gescheitert. Und Stefanie Lohaus bezeichnete die Auseinandersetzung mit Privilegien für sich als permanenten Lernprozess.
Und wahrscheinlich ist genau das die erste Erkenntnis dieses Festivals über Privilegien. Nach dem Theaterstück Straight White Men der New Yorkerin Young Jean Lee könnte man ergänzen: Verdächtig sind die, bei denen dieser Lernprozess abgeschlossen ist, deren Gewissen rein ist.
„Ich habe es ein Leben lang versucht und bin immer noch ein Arschloch“, strahlt der knuffig wirkende Vater da von der Bühne in die Runde und wirft dann seinen drei Söhnen, inzwischen um die 40, einen Pyjama entgegen. Es ist Weihnachten und die vier wollen zusammen feiern, ganz kuschlig, wie früher. Sie beginnen den Abend mit dem Brettspiel Privilege. Das geht wie Monopoly, nur stehen auf den Ereigniskarten Dinge wie: „Du hast einen sexistischen Witz gemacht, zahle 50 Dollar an die lesbische Community vor Ort.“
Aber an Weihnachten weinen
Die Männer, die hier auf der Couch sitzen, herumalbern, X-Box spielen und zwischendurch aus Spaß ein Ku-Klux-Klan-Lied singen, stehen für eine neue, sensible Generation Männer, die ihre Privilegien gecheckt und sich für glücklich befunden haben – und die sich nun lässigironisch das Patriarchat entlang nach obe30n hangeln. Nur Matt ist konsequenter. Er hat weder Job noch Freundin und ist gerade wieder beim Vater eingezogen, kocht das Essen, räumt die Gläser weg und saugt zwischendurch die Chipskrümel vom Teppich. Über dem Weihnachtsessen fängt er an zu weinen.
Die Diagnose seiner Familie ist klar: Matt hat das Spiel Privilege zu ernst genommen und sich entschieden, in dieser Welt keinen Schaden anzurichten – deshalb ist er in ihren Augen ein Loser. Eine Antwort darauf, wie Mann als Teil der Mehrheitsgesellschaft mit Privilegien umgehen sollte, ist er sicher nicht. Matt hat seine Privilegien zwar konsequent dekonstruiert. Dummerweise ist die Welt, die sie produziert hat, immer noch da. Zu ihr müsste sich Matt verhalten, wenn er einen Unterschied machen will. Gerade wenn, siehe Auftaktabend, permanent die Gefahr besteht, an den neuen Ansprüchen zu scheitern.
(erschienen in derFreitag 18/15)
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