Erschienen in der Freitag 24/10
In der Pause kochte die Stimmung über. „Im Eifer der Halbzeitpause“ könne so eine „sprachliche Entgleisung“ schon einmal passieren, stellte ZDF-Sportchef Dieter Gruschewitz daher noch in der Nacht klar. Was war geschehen? Nationalspieler Miroslav Klose stand seit Monaten in der Kritik. Fast die ganze Fußballwelt hätte Cacau im Sturm den Vortritt gelassen. Und dann macht er diesen Koopfballtreffer gegen Australien – ein „innerer Reichsparteitag“ müsse das für ihn gewesen sein, sagte Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein in jener Halbzeitpause. Skandal? ZDF-Experte Oliver Kahn zuckte nicht einmal mit der Wimper, als ihm Müller-Hohenstein diesen Ball zuspielte. Doch die Twitter-Welt war aus dem Häuschen. Ein gewitterter Nazivergleich, und schon entlädt sich ein kleiner „Shitstorm“ über dem ZDF: Sofort feuern, wenn sie nicht selbst zurücktritt!
Immer wenn die dunklen Wolken drohender Hass-Tiraden zu vernehmen sind, dann sollte man eigentlich die Fenster zumachen und abwarten. Das sagt zumindest Shitstorm-Theoretiker Sascha Lobo. Denn die wichtigste Tugend im Netz ist die Ignoranz. Lieber abwarten, dann kriegt sich der Mob schon wieder ein. Wenn man aber reagiert, dann ganz bedacht. Und bloß nicht so, wie es das ZDF tat: “Innerer Reichsparteitag” ist eine Redewendung, die bedeutet: mit Stolz erfüllt oder tiefste Befriedigung. “That’s it!”, twitterte die Online-Redaktion zurück. Ob das nun stimmt oder nicht, war eigentlich egal. Die etwas lapidare „Richtigstellung“ machte alles nur noch schlimmer. Als man das auch beim ZDF verstand, und die Meldung wieder vom eigenen Account löschte, war es schon längst zu spät: Denn die Meldung war schon mehrfach retweetet, zumeist mit einem vorangestellten WTF („What the fuck?“). Jetzt regten sich noch mehr Menschen auf. Einige Twitterer der Vernunft verwiesen zwar auf wichtigere Probleme, wie die Koalitionsfrage in NRW oder die neusten Regierungskrisen-Berichte. Aber sie waren chancenlos.
Bis sich dann eben am späten Abend der ZDF-Sportchef meldete und verlauten ließ: „Wir haben mit Katrin Müller-Hohenstein gesprochen, sie bedauert die Formulierung. Es wird nicht wieder vorkommen.” Für die meisten war die Sache damit gegessen. Die, die sich immer noch aufregen, tun das auch über diese „nervenden Vuvuzelas“. Dass auf entsprechenden Facebook-Seiten, denen sie angehören, im Minutentakt wesentlich drastischere und offen rassistische Kommentare zu lesen sind, darüber regen sie sich seltsamerweise nicht auf.
Netzaufreger werden in aller Regel schnell zur Netz-Geschichte. Es gebe verschiedene Ansichten zur Deutung der Reichsparteitags-Redewendung, kann man am folgenden Tag auf Wikipedia lesen: „Bis in die Gegenwart hinein findet sich auch in deutschsprachigen Pressepublikationen noch ab und an die Verwendung des Begriffs, um einen Zustand großer Genugtuung zu beschreiben“. Die öffentliche Kritik weise jedoch auf „eine gesunkene Akzeptanz des Begriffs in der deutschen Sprachgemeinschaft hin“. So nüchtern, dieses Internet, wenn die Wolken einmal verzogen sind. Doch das nächste Gewitter kommt bestimmt.
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