Wir haben uns für Samstag Nachmittag an der Wurstbude S-Bahn-Haltestelle Frankfurter Allee verabredet. Meine Beine geben fast nach, als ich aussteigen will. Sie lehnt an der Imbissbude und mustert die aussteigenden Menschen. PSZX73A und ich kennen uns nicht. Wir haben uns E-Mails über Fernsehserien geschrieben. In meiner Selbstbeschreibung steht: „Schaue manchmal zuviel Serien am Stück“. Damit konnte sie etwas anfangen. Wir mögen beide „How I met your Mother“ und die Suche des Hauptdarstellers Ted nach der Liebe. Nach der vierten E-Mail haben wir unsere Fotos freigeschaltet und telefoniert. PSZX73A heißt Kerstin und ist Psychologin. Sie hat viel gelacht am Telefon. Das ist besser als die Stille. Ich habe genug von der Stille. Angeblich hat Parship, die „führende Partnervermittlung“, mehrere Millionen Mitglieder. Die ersten Nachrichten kommen schnell. Will man sie lesen muss man zahlen, 180 Euro für drei Monate. Was für eine Liebe bekommt man dafür?

Es nieselt. Seit Tagen hat Berlin keine Sonne mehr gesehen. Auf den Straßen teilen sich die Paare einen Regenschirm. Ich halte meinen zur Hälfte über Kerstins Kopf. In echt sieht sie lockerer aus als auf ihren Fotos. Sie hat halblange braune Haare, grün-braune Augen, einen etwas flapsigen Gang. Ich bin ihr zehntes Date. „Alles ganz nette Typen“, erzählt sie auf dem Weg zum Café, „mit ein paar habe ich mich auch noch einmal getroffen, aber das war nichts dauerhaftes.“ Sie habe sich angemeldet, als sie gerade heftigen Liebeskummer hatte. „Man bekommt relativ schnell wieder Bestätigung, das ist gar nicht schlecht.“ Außerdem gebe es in ihrem Beruf zu wenig Männer.

Kerstin und ich haben 60 Matching-Punkte. Wir reden kurz über Serien. Darüber, wie Ted in einer Folge zu einer Partnervermittlung geht und feststellt, dass diese ganzen Übereinstimmungen von 98 Prozent gar nichts aussagen, weil die Liebe nicht messbar ist, darüber reden wir nicht. Der Kellner zündet die Kerze an unserem Tisch an, „für die Romantik“, sagt er. Wir müssen lachen. „Man muss schon auf seine Seele aufpassen“, sagt Kerstin während sie ihren Schokoladenkuchen isst, „denn man sortiert gnadenlos aus wenn einem irgendwas an dem anderen nicht sofort passt.“ Wir reden fast zwei Stunden. Aussortiert haben wir uns viel schneller. Als wir gehen nieselt es immer noch. Keiner sagt ein Wort. Sie bringt mich noch ein Stück Richtung Bahn, dann umarmen wir uns und wünschen uns alles Gute.

Zu Hause checke ich meine Parship-Post. PS7KJ4D schickt eine Mail mit dem Betreff „Abschied“: „Ich habe den Eindruck gewonnen, dass wir nicht wirklich zusammenpassen.“ Wir haben uns nie gesehen. Nächste Nachricht. Eine Grundschullehrerin hat mir eine Anfrage geschickt: „Hallo wie geht’s dir so? Was machst du so schönes?“ Noch eine Mail ist da. Von einer Referentin, der ich vor einigen Wochen schon einmal kurz geschrieben hatte: „Ich bin frisch verliebt und wünsche allen anderen das gleiche Glück!“

Ich schaue meine Persönlichkeitswerte an. Die werden auf undurchsichtige Weise aus Multiple-Choice-Antworten errechnet. Gefühl, Verstand, Rückzugstendenz, Selbstkontrolle, Instinkt, Anpassungswille, Pragmatismus. Mein Pragmatismus-Wert liegt unter dem Durchschnitt. „Man darf das glaube ich auch nicht zu ernst nehmen – die ganze Energie, die man in die E-Mails steckt, wenn man jedes Mal denkt, das muss jetzt der Prinz oder die Prinzessin sein, dann ist das viel zu anstrengend“, hat Kerstin gesagt. Ich klicke auf „Neue Partnervorschläge“ und scanne die Liste nach Foto, Alter, Matching-Punkten Beruf und Selbstbeschreibung.

(Foto: elstocker, Lizenz: by-nc-sa/2.0)

Mit Vanessa verabrede ich mich schon nach zwei kurzen Mails. Wir haben 77 Matching-Punkte. Es ist das erste heiße Wochenende des Jahres. Wir sitzen im Park und trinken Radler. Um uns herum wird gegrillt. Sie ist Musikpädagogin und 32 Jahre alt, hat kurze schwarze Haare, trägt enge Jeans und ein hellblaues Shirt. Sie sieht gut aus, wobei „gut aussehend“ für sie ein „absolutes No-Go“ in der Selbstcharakteristik sei, „weiblich elegant“ gefalle ihr besser. Sie habe ihren Frieden mit Parship gemacht, erzählt sie. Jede Zeit habe ihre Art Leute kennen zu lernen. Das sei eben die unsere. Parship biete ihr eine Klarheit, die sie im Leben vermisst. Manchmal hätte sie gerne einen Weg mit einem Ziel, und nicht diese tausend Sachen, das Berliner Leben in Projekten. Mit einem Parship-Treffen wisse man einfach, worauf man sich einlässt.

Ich bin ihr drittes Date. Mit dem letzten konnte sie sich zwar nette Mails schreiben, aber gar nicht unterhalten. „Er saß einfach da und hat mir kein einziges Gesprächsangebot gemacht, immer musste ich etwas fragen“. Stille ist nicht gut. Vor allem wenn man so kurze Zeit hat sich kennenzulernen. Gleich muss sie wieder los, sie hat noch eine Chor-Aufführung heute Abend. Wir umarmen uns und sagen „vielleicht bis bald“. Man könnte sich jetzt weiter treffen. Aber „Ich bin ja nicht hier, um Freunde zu finden“, hat Vanessa gesagt. Ich auch nicht.

Wieder am Computer klicke ich meine letzten Profil-Besucherinnen durch. Eine Referendarin wirbt mit Körbchengröße C. Eine Redakteurin ist laut Selbstcharakteristik „zwar nicht verrückt, aber ich habe so mein Sternzeichentick!“ Sie schreibt 20 Zeilen lang wie sie als „gute Wassermann-frau“ ist, und wie der sein sollte, der zu ihr passt. Es wartet noch ein „Spaß-Match“, zu dem mich eine freischaffende Künstlerin eingeladen hat. Beim Spaß-Match vergleicht man seine Antworten auf vier Fragen. Wenn alle gleich beantwortet sind, schaltet das gegenüber das Foto frei, lädt einen zum Kaffee ein, oder schreibt, in was für einem Kinofilm er/sie das letzte Mal geweint hat. Ich habe drei von vier Fragen richtig beantwortet. Das Bild kann ich heute noch nicht sehen.

In „How I met your Mother“ beschließen Ted und seine Ex-Freundin Robin eine Backup-Liebe: Sie wollen heiraten, wenn sie mit 40 Jahren beide noch solo sind. Ich habe mit meiner Ex-Freundin telefoniert. Wir fanden, das sei auch was für uns. Wäre es doch schon so weit.

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