Der Zauber der Worte verbindet: Eine Tagung zur Bedeutung der Sprache in der Kritischen Theorie findet einen erstaunlichen Konsens zwischen Adorno und Habermas.

Kritische Theoretiker sind nicht zimperlich. Wenn beispielsweise Theodor W. Adorno über teilnahmslose Gespräche in der Mittagspause schreibt, dann so: „Weil alles Geschäft ist, darf dessen Name nicht genannt werden wie der des Stricks im Hause des Gehenkten.“ Nun gut, könnte man nun meinen, da hat jemand etwas gegen Small Talk und hörte es lieber, wenn man ohne Umschweife zur Sache kommt. Doch das „direkte Wort“ nimmt bei Adorno stets „Form und Klang des Kommandos“ ein, und die Sachlichkeit zwischen den Menschen „ist selbst bereits zur Ideologie geworden dafür, die Menschen als Sachen zu behandeln“. Warum man überhaupt noch seinen Mund aufmachen sollte, ist nicht ganz klar.

Eher schlechte Erfolgsaussichten hat nach Adorno der Versuch, die gesellschaftlichen Zustände über das Medium der Sprache zu ändern und das Leiden abzuschaffen – und um weniger kann es bei einer kritischen Theorie nicht gehen -, ist doch jeder Sprechakt potentiell kontaminiert und neigt jeder Begriff dazu, die individuelle Erfahrung, die hinter ihm steht, zu nivellieren.

So gilt Jürgen Habermas dagegen als derjenige, der der Kritischen Theorie mit seiner „Theorie des kommunikativen Handelns“ eine neue sprach- und handlungstheoretische Ausrichtung gegeben hat: Dem Kapitalismus zum Trotz können Menschen in einer ausdifferenzierten Öffentlichkeit über den Austausch und die Bewertung von Begründungen zu einem vernünftigen Konsens über die bessere Gestaltung der Welt finden.

Der „Verein freier Menschen“

Brachte erst Habermas eine „Wende zur Sprache“ in die Kritische Theorie? Dieses Bild wollte jetzt eine Tagung in Oldenburg revidieren, zu der die Adorno-Forschungsstelle der Carl von Ossietzky- Universität zusammen mit dem philosophischen Institut der Frankfurter Goethe-Universität geladen hatte. Nicht nur war die Sprache bereits bei Adorno ein wesentliches Konzept, es ist auch erstaunlich, wie sehr sich die frühen sprachtheoretischen Gedanken von Adorno und Habermas ähneln.

Philip Hogh zeigte das unter anderem anhand eines Briefs, in dem Adorno 1941 an Max Horkheimer über das Potential der Sprache schreibt: „Mein Gefühl vom Wahrheitsanspruch der Sprache ist so stark, dass es sich über alle Psychologie durchsetzt und dass ich dem Sprechenden gegenüber zu einer Leichtgläubigkeit neige, die in schreiendstem Widerspruch zu meiner Erfahrung steht und die im allgemeinen erst überwunden wird, wenn ich von dem Betreffenden etwas Geschriebenes oder Gedrucktes lese, woran ich dann eben erkenne, dass er doch nicht sprechen kann.“

In der Rede formuliert ein Subjekt demnach einen Wahrheitsanspruch und traut gleichzeitig seinem Gegenüber zu, diesen Wahrheitsanspruch für wahr oder für falsch zu halten. Durch diesen gemeinsamen Bezug zur Wahrheit erkennen sich die Subjekte gegenseitig als „mögliches Mitglied des zukünftigen Vereins freier Menschen“ an, wie Horkheimer im selben Briefwechsel bestätigt. Hogh konnte zeigen, wie diese Auffassung der des frühen Habermas gleicht, wenn dieser den Menschen als das Wesen charakterisiert, dessen Mündigkeit im Besitz der Sprache vorausgesetzt ist: „Mit dem ersten Satz ist die Intention eines allgemeinen ungezwungenen Konsensus unmissverständlich ausgesprochen.“

Kommunikation ohne Verständigung

Kommunikation im Spätkapitalismus kann jedoch nur ein Zerrbild dieser Konzeption sein. Schon das begriffliche Denken und damit die Sprache sind bei Adorno Medium der Vergesellschaftung, die kaum mehr individuelle Erfahrung zulässt. Gelungene Kommunikation gleicht einem spontanen „feinen Gefädel“, dessen Ziel, so meint Hogh, nicht absehbar und das gerade deswegen vernünftig sei.

Nun macht es Adorno dem Leser nicht leicht, seinem eigenen Gefädel zu folgen, was daran liegen mag, dass eine gelungene Kommunikation für ihn keine gegenseitige Verständigung voraussetzt. Sie bestehe vielmehr darin, dass jeder seine subjektive Erfahrung des Gegenstandes ins Gespräch bringen kann. Für Habermas dagegen ist das Ziel der intersubjektive Konsens. Doch in der gegenwärtigen Öffentlichkeit sieht er diesen zunehmend bedroht.

Stefan Müller-Doohm erkennt einen großen Vertrauensschwund in Habermas’ neuem Werk „Nachmetaphysisches Denken II“. Bei der Herstellung von Normativität vertraut Habermas hier nicht mehr allein auf die Macht des Diskurses, sondern auf die grundierende Kraft von Riten, Mythen und Religion. Demnach vermitteln bereits Opferrituale, Begräbnisse, Gesten und Symbole ein geteiltes Wissen und bilden eine gemeinsame normative Grundlage, auf der sich die Sprachgemeinschaft verständigen kann.

Wahr ist, was weh tut

Müller-Doohm kann sich diese Wende im Denken Habermas’ nur dadurch erklären, dass der Philosoph eine Heidenangst hat, das Projekt der Moderne könne entgleisen und die Lebenswelt der Individuen in einer Weise von der Ökonomie bestimmt sein, dass eine vernünftige Verständigung nicht mehr möglich ist.

Was also bleibt von dem veranschlagten Potential der Sprache? Noch immer wohnt ihr ein Zauber inne: Die richtigen Worte lösen in Menschen Affekte aus, erzeugen Gefühle und können so das Bedürfnis, „Leiden beredt werden zu lassen“, wie Adorno schreibt, einlösen. Dazu hat Adorno das psychoanalytische Modell des Sprechens in Philosophie übersetzt, erläutert Gunzelin Schmid-Noerr.

In der Lehre Freuds fand Adorno das Erkenntnisideal, das er suchte. Eines, das Leiden an objektiven Verhältnissen immer als ein besonderes, mit einer eigenen Lebensgeschichte erfahrbar macht. Gleich der Traumdeutung besitzt die Philosophie keinen Schlüssel zur Wahrheit, sondern macht Deutungsangebote. Wenn ihre Worte einen wunden Punkt treffen, liegt sie richtig und bringt über die Sprache dieses Leiden zur Welt. Zwar ist der „Verein freier Menschen“ dann noch in weiter Ferne, aber solange der Gesprächsfaden nicht reißt, ist noch nichts verloren.

(Foto: onkel_wart, CC BY-NC-SA 2.0 / zuerst erschienen in der F.A.Z. vom 19.12.12)

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