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Pick-up-Artists in Berlin: Jenseits von cool

„Respect the cock!“ Mit diesem Ausruf machte Tom Cruise vor 15 Jahren die Netzwerke der Pick-up-Artists bekannt. In dem Film Magnolia lieferte er als Coach und Guru Antworten auf Fragen, die sich viele Männer schon gestellt haben. Männer, die ihre Einsamkeit aber auf das einzige Problem zurückführen, das sie kennen: dass sie nämlich nicht einfach mit all den Frauen Sex haben können, die ihnen täglich in der Werbung, in Magazinen und Pornos vorgesetzt werden.

Um das zu ändern, predigen Pick-up-Artists – zu Deutsch: Aufreißkünstler – im Kern die gleiche Botschaft wie alle anderen lebensoptimierenden Coaches unserer Zeit. Ob du Erfolg hast oder nicht, sagen sie, liegt nur an dir selbst. Oder, um den Twitter-Account der derzeit im Fokus stehenden Real Social Dynamics (RSD) zu zitieren: „Stop waiting for permission to take what’s yours.“ Nimm dir, was dir zusteht. Wenn einer ihrer Anhänger dieses Frauenbild dann zu wörtlich nimmt, tingeln die Pick-up-Artists durch die Medien. Zuletzt war das nach dem Amoklauf von Elliot Rodger in Kalifornien vor einem halben Jahr der Fall. Rodger war in entsprechenden Pick-up-Artist-Foren unterwegs gewesen und wollte sich für angebliche Zurückweisungen rächen.

#takedownjulienblanc

Derzeit ist es Julien Blanc, der für RSD – die mit Onlinekursen und 3.000-Dollar-Seminaren ein System versprechen, das Sex garantiert und Abfuhren erspart – auf Tour ist. In seinen Videos hat er zu verstehen gegeben, dass es für ihn keine Grenzen gibt, wenn es darum geht, Frauen gefügig zu machen. Natürlich könne man ihnen den Kopf in den eigenen Schoß drücken, sie würgen oder, auch damit prahlte ein Kollege von ihm: sie vergewaltigen.

Am 6. November rief die Aktivistin Jenn Li deshalb zu einer Kampagne unter dem Hashtag #takedownjulienblanc auf. Australien und Kanada haben Blanc daraufhin sein Visum entzogen, Großbritannien denkt über ähnliche Schritte nach, mehrere Petitionen gegen RSD kursieren im Netz. In Berlin sollte vergangenes Wochenende ein „Boot Camp“ von RSD stattfinden, geleitet von einem Coach namens Ozzi.

Nachdem die Facebook-Gruppe „Rape Coach in Berlin verhindern“ schnell über 1.000 Likes gesammelt hatte, war das Bild der 50 Aktivisten am Alexanderplatz, ein Drittel von ihnen Männer, doch etwas ernüchternd. Auch wusste niemand genau, wo das Seminar nun stattfinden sollte. Die verdächtigten Hotels hatten entsprechende Buchungen bestritten.

Zum Protest aufgerufen hatte die „Initiative für Gerechtigkeit bei sexueller Gewalt“, die sich aus Anlass des Prozesses gegen den Moderator Jörg Kachelmann gegründet hat, um Vergewaltigungsmythen und der Suche nach einer Mitschuld bei den Opfern etwas entgegenzusetzen: Hat die Frau nicht doch provoziert? Was hatte sie an? War sie betrunken?

Dass der Fokus diesmal auf potenziellen Tätern liegt, ist gut. Und trotzdem hat der Widerstand gegen Julien Blanc, den das Time-Magazin sogar zum „meistgehassten Mann der Welt“ erklärte, eine Kehrseite: „Die größte Gefahr ist, dass jetzt wieder alle auf einzelne Spinner zeigen, aber die gesamtgesellschaftliche Dimension gar nicht wahrnehmen“, sagt Manuela Schon, eine Initiatorin des Protests.

Eine Vorstellung von dieser Dimension bekam man kürzlich bei einem Youtube-Video der Organisation Hollaback, die gegen Alltagssexismus kämpft. Der Clip zeigt, wie eine Frau in T-Shirt und Jeans durch New York läuft und in zehn Stunden über 100 Mal angemacht, mehrmals auch aufdringlich verfolgt wird. Obwohl sie nicht auf die Sprüche reagiert, läuft ein Mann zum Beispiel mehr als fünf Minuten neben ihr her, lässt seine Blicke immer wieder über ihren Körper wandern und fragt sie, warum zur Hölle sie ihm nicht ihre Telefonnummer gebe.

Aus der Szene der selbsternannten Verführungskünstler wurde das Hollaback-Video und sein Anspruch, ein Bewusstsein für die alltäglichen Belästigungen zu schaffen, scharf kritisiert. Zum Beispiel von Maximilian Pütz. Der Chefguru der deutschen Pick-up-Szene war „fucking pissed“: „Wie krank ist diese Welt?“, empörte er sich. „Wer schützt mich denn davor, wenn ich am Strand liege und mir irgend so eine Asiatin die Füße massieren will? Oder vor Schwarzen, die mir Sonnenbrillen verkaufen wollen?“ Die Sprüche auf den New Yorker Bürgersteigen seien nur Komplimente gewesen, das Video lediglich Teil einer Kampagne, um Spendengelder für Hollaback einzusammeln. Auf diese Weise würden immer mehr Männer verunsichert, die er in seinen Seminaren wieder mühsam aufbauen müsse.

Klassische Verschiebung

Warum brauchen diese verunsicherten Männer Frauen für das eigene Selbstwertgefühl so sehr? Und warum sind Frauen für sie zugleich so wenig wert? Vielleicht hilft ein Blick auf die extremen Fälle, das besser zu verstehen: 140 Seiten hat der Amokläufer Elliot Rodger hinterlassen. Wer sie liest, findet viel Anschauungsmaterial für früh eingeimpften Sexismus. Alle paar Seiten kündigt Rodger den entscheidenden Moment an, in dem ihm bewusst geworden sei, wie furchtbar Frauen seien. Doch der Moment kommt nicht.

Rodger spielt Computer, fährt Skateboard. Mit 14, 15 Jahren geht es los: Weil er kleiner und schwächlicher ist, nehmen ihm seine Mitschüler das Pausenbrot weg, nennen ihn Schwuchtel, schlagen ihn. Erst als er realisiert, dass Erfolg bei Mädchen vor dem Mobbing der Jungs schützt, überträgt er seinen gesamten Hass auf die Frauen. In der Psychoanalyse würde man wohl von einer klassischen Verschiebung sprechen.

Das Berliner Seminar der Real Social Dynamics hat vergangenes Wochenende wahrscheinlich ungestört stattgefunden. Beim nächsten Mal wollen die Aktivisten den Druck auf Hotels und Clubs erhöhen, in denen die Aufreißer ihre neuen Fähigkeiten anwenden sollen. Am 11. Dezember zum Beispiel, nach einem Boot Camp in München.

(zuerst erschienen in der Freitag 47/14)

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