Rechte Kreise geben sich besorgt um die Sicherheit der (weißen) Frau. Wer ihren Erzählungen weiter folgt, kommt zu einem anderen Ergebnis.
Es ist nicht viel, was Rechtsextreme für ihre Öffentlichkeitsarbeit brauchen. Eigentlich nur einen gesellschaftlichen Konsens, den sie zuspitzen können. Und verschiedene Diskriminierungsachsen, die man übereinanderlegen kann. Wer möchte, ergänzt verborgene Strippenzieher, tauscht Begriffe, wenn das Ergebnis zu altbacken klingt, oder gibt ihm einen ironischen Touch. Repeat.
Die vielleicht derzeit beliebteste rechte Erzählung bringt Migrations- und Geschlechterfragen zusammen. Sie braucht dafür nur ein quasi natürliches Bild von Mann und Frau mit unterschiedlichen Eigenschaften und einen lange eingeübten Rassismus.
Die Vorlage geistert derzeit überall durch die Medien und folgt „nach Köln“ einem eingespielten Muster: Der Sexismus der Anderen – und nur der Anderen – sei eine Gefahr für die eigene Kultur und weiße Frauen; die eigene männliche Hegemonie und deren toxischen Auswirkungen seien jedoch nicht der Rede wert. Das aktuellste Beispiel dafür liefern die Identitären mit ihrer Videokampagne gegen sexuelle Gewalt an Frauen – aber nur gegen die Gewalt, die nicht von Deutschen ausgeht.
Mit dem gleichen Schema kann Beatrix von Storch über die „barbarischen, muslimischen, gruppenvergewaltigenden Männerhorden“ twittern und André Poggenburg gleichzeitig, dass die #MeToo-Kampagne „zu einer reinen Farce verkommen“ sei: „Als ob es keine wirklichen Probleme gibt.“
Die weibliche Bedrohung
Diese rassistische Fokussierung ist allerdings nur Einstieg. Wer ist nach rechtsextremer Lesart „schuld“ an der Migration? Klar, Merkel und die „Volksverräter“ der politischen Elite, die die Grenzen nicht dicht machen; die „Lügenpresse“ mit ihrem „Multi-Kulti-Brainwashing“; die Amis mit ihrer Globalisierung und Gleichmacherei; die „Hochfinanz“, die Juden, George Soros mit ihrer Schattenherrschaft.
Wer sich durch YouTube-Videos, Webseiten und Bücher der Neuen Rechten und der amerikanischen Alt-Right sowie deren medialen Vorfeldorganisatoren schaut, dem wird klar, wie den zunächst als beschützenswert dargestellten Frauen eine Schlüsselrolle in dieser Schuldfrage zukommt. Und wie genau jene Eigenschaften, die Rechte „der Frau“ zuschreiben, auf diese zurückkommen – und Weiblichkeit an sich zu einer permanenten Bedrohung für das völkische Projekt machen.
„Was zur Hölle läuft falsch bei euch?“, fragte der Identitäre Martin Sellner in einer Videoreihe zur „Identitären Frauenfrage“ im Frühjahr 2016: Warum wählen Frauen viel häufiger Parteien, die für die „Masseneinwanderung“ sind als Männer? „Das hängt mit der Natur und der Psychologie der Frauen zusammen“, antwortet Aline aus Dresden: „Frauen sind empathisch und wollen helfen und denken dann aber meistens nicht darüber nach, wem sie da helfen.“ Genau, sagt Sellner, von Natur aus seien sie deshalb leichter „emotional erpressbar“ – etwa von den Bildern einer angespülten Babyleiche am Strand.
Auch Frauen müssten mal „auf den Tisch hauen“
Eine ähnliche Video-Reihe führte Sellner noch einmal kurz vor der Bundestagswahl vor. Klar sollten Frauen nach wie vor wählen und mitbestimmen, sagt Franziska vom identitären Blog „radikal feminin“. Aber gerade in der Politik könne man „eben nicht nur emotionales Rumgehudel machen, sondern muss mal auf den Tisch hauen. Männer sind da logischer und direkter.“ Und Sellner ergänzt, dass Frauen eben immer mit dem Mainstream gehen würden. Genau diese Zuschreibungen machen sie auch zu potentiell Verantwortlichen für die „Masseninvasion“.
Als Sellner zum Jahreswechsel in den USA war, redete er noch klarer davon, wie die Leute in Deutschland – angetrieben von einem „weißen Schuldkomplex“ und der Angst, „Rassist“ genannt zu werden – ihre Kinder dem „God of Multiculturalism“ opfern würden – und: „so many white girls inviting theses beasts into their home“.
Nur ein, zwei Facebook-Postings weiter landet man schon bei der Neuköllner AfD-Abgeordnete Franziska Lorenz-Hoffmann, die auf ihrer digitalen Pinnwand einige Motive aus dem Nationalsozialismus recycelte: „Deutsche Frau! Halte dein Blut rein“.
„Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann?“ steht hinten auf dem Buch „Die Einzelfalle – Warum der Feminismus ständig die Straßenseite wechselt“ von Ellen Kositza, Ehefrau von Götz Kubitschek. In ihm schreibt sie, wie „Frauen zu Kippfiguren in puncto Einwanderung werden … Ich gestehe Frauen mehr Emotionalität, mehr Weichheit, ja auch größere Beeinflussbarkeit zu. Auch, daß sie generell ,zu den Siegern’ gehen, also sich zur proklamierten Mehrheit schlagen. Ich halte dergleichen für natürlich, für weder anfechtbar noch aufrechenbar. Darum wünsche ich keiner multikulturell begeisterten Frau, daß sie ihre ,Lektion‘ lernen möge.“
Zu viele „Jammerlappen“, zu wenig „Männlichkeit“
Das Problem besteht für Kositza jedoch nicht in diesen „Lektionen“ toxischer Männlichkeit generell, sondern in dem vermeintlichen Mangel einheimischer Männlichkeit: Die deutschen Männer würden sich zu sehr auf „Vater Staat“ verlassen, sie seien zu „Weicheiern“ und „Jammerlappen“ geworden und hätten den öffentlichen Raum kampflos preisgegeben.
Deswegen kommt auch Kositzas Buch nicht ohne den Verweis auf die „Männlichkeitsbibel“ im eigenen Verlag aus – Jack Donovans „Der Weg der Männer“ – zu dem sie einen Online-Kommentar zitiert: „Die weißen Linken haben ihre Männlichkeit doch als cuckolds längst outgesourced. Black Lives Matter, Randalierer und Schläger, arabische Clans …, durchtrainierte Afrikaner … Das ist doch die Männlichkeit, auf die der weiße Mann stolz ist.“
Das war auch das Mantra von Björn Höcke, als er im November 2015 auf den Erfurter Marktplatz schrie: „Wir müssen unsere Männlichkeit wiederentdecken. Denn nur, wenn wir unsere Männlichkeit wiederentdecken, werden wir mannhaft! Und nur, wenn wir mannhaft werden, werden wir wehrhaft. Und wir müssen wehrhaft werden, liebe Freunde!“
Wie dieses Beschwörungen von mehr Männlichkeit auf die Weiblichkeit zurückschlagen, kann man auch auf den YouTube-Kanälen der amerikanischen „Alt-Lite“ beobachten. Das sind die massenwirksamen Vorläufer der „Alt-Right“, die den „weißen Nationalstaat“ und den „race war“ zwar noch nicht offen predigen, zu denen mit einem Zitat aus Klaus Theweleits „Das Lachen der Täter“ jedoch schon alles gesagt wäre: „Wer eine Stunde lang redet, um eigene Standpunkte zu untermauern und seine Handlungen zu rechtfertigen, ist strukturell ein Faschist“ – wenn ihre Monologe nicht Millionen Views bekämen.
Immer wieder die Naturalisierung von Weiblichkeit
Da ist zum Beispiel der ehemalige Mens Rights Activist Stefan Molyneux, der unter dem Titel „We’re doomed!“ wieder einmal „Facts about Women and Politics“ abspult: Wie in der Weltgeschichte Millionen von Männern gekämpft und gestorben sind, wie sie den Frauen die Freiheit geschenkt hätten – nur damit diese im Gegenzug alles Aufgebaute wegwerfen würden, weil sie keine Ahnung von Politik hätten und nur emotional wählen würden – also für Sozialsysteme, für Migration und all diese furchtbaren Dinge. Auch wenn Molyneux mit einem offenen „but we can turn it around – can’t we?“ endet; es ist klar, wer dieses „we“ ist – und gegen wen es sich konstituieren sollte.
Wie wichtig diese Erzählungen eines von der Weiblichkeit bedrohten völkischen Projekts sind, zeigt sich erst recht bei den Männern der Alt-Right. Wenn deren prominenter Kopf Richard Spencer bei einem Glas Whiskey fragt, was für die Bewegung eigentlich wichtiger sei: „the women’s question or the race question“. Oder wenn die Neonazi-Seite Daily Stormer die Zahnlosigkeit der Alt-Lite beklagt, weil sie den letzten Schritt nicht gehen wollten („Always Blame the Jews for Everything“). Und wenn dabei wieder betont wird, was den gemeinsamen Nenner mit Leuten wie Molyneux ausmacht: „he did bring people into the Alt-Right by addressing issues that we address, including engaging in a comprehensive breakdown of race realism, along with the nature of women“.
„Die Frau“, das ist ihre gemeinsame Botschaft, wird nicht erst als Feministin zu einer Gefahr für die innere Ordnung der „Volksgemeinschaft“, nicht erst dann, wenn sie die traditionelle Rolle in der Familie verlässt, keine Lust auf Küche oder Kinder hat und lieber Karriere macht. Sondern schon vorher, durch die Zuschreibung vermeintlich natürlicher Eigenschaften, die sie zum Einfallstor für das Andere und zu einer potenziellen Bedrohung für das völkische Projekt machen. Und gegen Bedrohungen sollte sich ein rechter Mann wehren.
(Erschienen in der taz vom 16.2.2018)
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