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Netzpolitik: Die Lok rollt einfach weiter

Thomas de Maizière hat am Dienstag eine Grundsatzrede zur Zukunft der Netzpolitik gehalten. Im Ton mag sich dabei einiges geändert haben, in der Sache nicht

Im Vergleich zu den Datenhighways im Internet ist die Politik manchmal so schwerfällig wie die Diesellok im Berliner Technikmuseum. Insofern war der Ort gut gewählt, als Innenminister Thomas de Maizière am Dienstag hier seine Grundsatzrede zur Netzpolitik hielt. Seit Januar hat er in vier Gesprächsrunden mit Aktivisten und Experten über die „Perspektiven deutscher Netzpolitik“ geredet. Teilnehmende bescheinigten dem frisch ins Amt gekommenen Minister hohe Dialogbereitschaft, sowie die Fähigkeit des Zuhörens. Ein Stilwechsel, der nötig war.

Vorgänger Wolfgang Schäuble hielt es nicht für nötig, einmal die Ohren anzulegen und zu lauschen, worüber da eigentlich so eifrig im Internet kommuniziert wird. Er war in den Augen vieler nur der Abhörer, eine „Stasi 2.0“. De Maizières Ton sollte ein anderer werden. In den vier Gesprächsrunden war der Innenminister sensibilisiert worden: nicht immer sofort neue Gesetze einzuführen, die Novellen sollten die technische Entwicklung nicht blockieren und im Einklang mit europäischem und internationalem Recht vonstatten gehen.

De Maizière Rede sollte den Diskussionsrahmen der nächsten Jahre abstecken. Er sprach von einem „Bewusstsein für gemeinsame Werte“, wie er die Eigenverantwortung der Nutzer im Netz stärken, und wo der Gesetzgeber in Zukunft eingreifen will: „14 Thesen zu den Grundlagen einer gemeinsamen Netzpolitik der Zukunft“ (pdf).

Dem Netz das Vergessen beibringen

Die positive Überraschung gab es gleich zu Beginn, als er dem Gesetzesentwurf zu Google Street View eine Absage erteilte. Der Entwurf liegt dem Bundesrat vor und sollte Google das Abfotografieren der Straßen und Häuser erschweren bzw. untersagen. Für viele Netzaktivisten reine Panikmache. Sie kündigten an, die ausgesparten Häuser selbst zu fotografieren und die Aufnahmen ins Netz zu stellen, schließlich habe jeder das Recht auf freie Fotografie. Technikneutral habe die Gesetzgebung zu erfolgen, sagte de Maizère dazu, man könne nicht versuchen, jeder Entwicklung hinterher zu hinken.

Wer glaubte, es seien solche Aktionen gewesen, die zum nachhaltigen Nachdenken angeregt haben, der wurde in den folgenden Punkten enttäuscht. Denn auch wenn de Maizière jetzt „Netzsprech“ beherrscht, er ist vor allem der Innenminister einer schwarz-gelben Koalition, der an die Positionen seines Vorgängers anknüpft und dabei wohl nicht weniger halbgare Vorschläge präsentieren wird.

Eine Herausforderung für die zukünftige Netzpolitik sei zum Beispiel das ominöse „Cloud-Computing“. Wir lagern immer mehr persönliche Daten in das Netz aus und verlieren zunehmend die Kontrolle über sie, so de Maizère. Er forderte deshalb mehr „Verfügungsgewalt über unseren virtuellen Hausrat“: Man müsse dem Netz „das Vergessen beibringen“, und zwar mit Hilfe eines „digitalen Radiergummis“. Der soll etwaige Spuren der Vergangenheit wieder aus dem Netz löschen, oder zumindest ein Indexierungsverbot für bestimmte Einträge in den Suchmaschinen zur Folge haben. Ein Vorschlag, der mindestens genauso ein rhetorischer bleiben wird, wie der Google Street View-Vorstoß. Er ist wohl nicht einmal theoretisch umsetzbar.

Sieg der Angstmache?

Auch über „Anonymität und Identifizierbarkeit“ der Nutzer müsse man noch einmal nachdenken, so de Maizière und sprach dabei indirekt Schäubles Wunsch nach einem elektronischen Personalausweis erneut aus. Ebenso das Thema Vorratsdatenspeicherung. De Maizière hält hier klar an der Position seines Vorgängers fest: Auf die Speicherung von Daten zu verzichten, sei bei der Verfolgung von Straftaten nicht möglich, so de Maizière. Man werde sich bei diesem Thema wohl nie einigen können, sagte Constanze Kurz, Sprecherin des Chaos Computer Club, in der anschließenden Diskussion. Aber immerhin könne man nun darüber reden.

Die Grünen erkannten in der Rede ein klassisches, „konservatives Selbstverständnis“, für die Linkspartei war die Rede ein „netzpolitischer Reinfall“. De Maizière gebe keine Antworten auf die drängenden Fragen wie Datenschutz, Netzneutralität und eine flächendeckende Grundversorgung mit Breitband-Internet. Stattdessen sei seine Rede der „Einstieg in die totale Kontrolle des Netzes und eine massive Gefährdung der Demokratie.“ Die Angstmache habe wieder gesiegt, konstatierten die meisten Blogs. Netzpolitk.org mahnte dazu, „abseits aller Kaffeekränzchen weiter wachsam und frech“ zu sein. Denn die netzpolitische Diskussion hat mit der Rede de Maizières nicht „gerade erst begonnen“, wie die FDP kommentierte. Die Lok rollt einfach weiter.

(Zuerst erschienen auf freitag.de)

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